derstandard.at – Roboter krempeln die Versicherungsbranche um
Verfasst am 29.03.2016
Vergleichsportale schießen aus dem Boden – Beruf des Maklers womöglich bald passé
Die digitale Revolution macht vor der Finanzbranche nicht Halt. Sogenannte FinTechs, junge Technologiefirmen, lehren etablierten Bank- und Versicherungshäusern das Fürchten. Sie nehmen den Konzernen nicht nur das Geschäft weg, sondern ersetzen auch Mitarbeiter durch Roboter. Die heimischen Versicherer setzen auch selbst auf Automation.
Vergleichsportale
Den Vertrieb von Polizzen hat die Digitalisierung längst erreicht. Wie bei mittlerweile allen Produkten vergleichen Kunden vor Kauf im Internet. Vergleichsportale schießen weltweit aus dem Boden. In Österreich zum Beispiel wächst die seit 2010 aktive Plattform durchblicker.at kräftig, wenngleich sie noch keine Gewinne schreibt. 2015 haben sich Interessierte 4,84 Millionen Angebote für Versicherungsprodukte sowie Energie- und Handytarife geholt.Während sich die Handyanbieter offen geben, lassen sich die österreichischen Assekuranzen nicht allzu gerne vergleichen. Ein paar große Anbieter wollen sich nach wie vor nicht auf dem Portal auflisten lassen, sagt Durchblicker-Chef Reinhold Baudisch. "Sie versuchen, die gebundenen Vertriebe zu schützen."
Österreich sei einer der Versicherungsmärkte mit den höchsten Margen in Europa. Sowohl Angestellte von Versicherungsfirmen als auch Versicherungsagenten (sie sind selbstständig, aber an einen Anbieter gebunden) und Makler (selbstständig, vertreiben Produkte mehrerer Anbieter) kassieren hohe Provisionen von den Kunden.
30 Prozent der Versicherungsprodukte via Internet
Durchblicker selbst agiert als Makler, verdient aber nicht an den Kunden, sondern an den Anbietern, die dem Portal Vermittlungsgebühren zahlen. Mittelfristig, schätzt Baudisch, werden hierzulande 30 Prozent der Versicherungsprodukte via Internet gekauft werden. Im Vorreiterland Großbritannien würden schon jetzt drei von vier Autoversicherungen online abgeschlossen.Hinzu kommt, dass "Keiler" nicht beliebt sind. Laut einem im März veröffentlichten GfK-Ranking sind Versicherungsvertreter eine jener Berufsgruppen, in die die Österreicher besonders wenig Vertrauen haben. Nur Politiker und Werbefachleute schneiden noch schlechter ab. Die Oxforder Forscher Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne sagten Versicherungsmaklern schon 2013 eine Automatisierungswahrscheinlichkeit von 99 Prozent voraus, da Versicherungsprodukte hoch standardisiert sind. Ähnliches gilt für Kreditanalysten (98 Prozent), Kassierer (97 Prozent) und Köche (96 Prozent).
SMS-Reiseversicherungsangebot
Auch heimische Konzerne stellen sich langsam darauf ein. Die börsennotierte Vienna Insurance Group (VIG) hat beispielsweise ein SMS-Reiseversicherungsangebot in Ungarn im Portfolio. In Polen können Autoversicherungen am Automaten abgeschlossen werden, da dort alle benötigten Daten auf dem Zulassungsschein gespeichert sind.Daten sammeln, das tun die etablierten Versicherungsgesellschaften jetzt vermehrt. Was Datenschützer die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lässt, ist für die Branche die Hoffnung, dem auch wegen der niedrigen Zinsen schwergängigem Geschäft auf die Sprünge zu helfen. In einigen europäischen Ländern werben Autoversicherungen schon länger mit Telematiktarifen. Kunden, die bereit sind, ihren Fahrstil überwachen zu lassen und entsprechend defensiv fahren, zahlen eine geringere Prämie. Die Daten zum Bremsverhalten oder zum Spurwechseln werden dabei mithilfe einer Smartphone-App an die Versicherung übermittelt. In Österreich ist auf diesem Gebiet die UNIQA vorgeprescht. Wer eine "SafeLine"-Versicherung kauft, bekommt ein kleines GPS-Gerät ins Auto eingebaut, das bei einer Panne oder gesundheitlichen Problemen automatisch Alarm auslöst.
Ab 2018 ist das europäische Notrufsystem E-Call in Neuwagen Pflicht. In Deutschland bieten ab April Autoversicherer ein Notrufsystem zum Nachrüsten an. Über einen Stecker im Zigarettenanzünder soll der Unfallmeldedienst einen Crash erkennen und über das Handy des Autofahrers die Rettung rufen.
Kranken- und Lebensversicherungen
Auch im Kranken- und Lebensversicherungsbereich sind Assekuranzen datenhungrig. In Deutschland bietet der italienische Generali-Konzern zum Beispiel ab Juli einen Tarif, bei dem Kunden mit gesundheitsbewusster Lebensweise Rabatte oder Geschenke erhalten. Generali hat schon mit Supermärkten und Fitnessstudios Verträge geschlossen, die Kundendaten weiterleiten sollen. Kunden, die gesunde Lebensmittel einkaufen, körperliche Aktivität per Fitness-Armband nachweisen oder regelmäßig ins Studio zum Trainieren gehen, werden belohnt. Das Ganze soll vorerst für Risiko-Lebensversicherungen und Berufsunfähigkeitsversicherungen gelten, später auf die private Krankenversicherung ausgeweitet werden. In Österreich sind Rabatte in der privaten Krankenversicherung nicht erlaubt. Generali Österreich sucht daher andere Möglichkeiten, gesundheitsbewusste Kunden zu locken.Ähnliche Modelle haben auch die viel beachteten FinTechs. Der niederländische Direktversicherer InShared zum Beispiel gibt Kunden Geld zurück, wenn sie zu wenige Schäden haben. Das Start-up betreut mittlerweile mit nur 35 Mitarbeitern hunderttausende Kunden.
Millionen von Kunden zählt die schon 1999 in den USA gegründete Handyversicherungsfirma SquareTrade, die kaputte Geräte rund um die Uhr austauscht. Mit Lemonade, der ersten Peer-to-Peer-Versicherung der Welt, scharrt ein weiteres FinTech in den Startlöchern. In einer ersten Finanzierungsrunde im Dezember 2015 hat das New Yorker Unternehmen 13 Mio. Dollar eingesammelt. Investiert sind etwa Berkshire Hathaway, die Beteiligungsgesellschaft von Warren Buffett, oder der Londoner Finanzriese Lloyd's. Der bekannte Verhaltensökonom Dan Ariely hat bei Lemonade als "Chief Behavioral Officer" angeheuert.